Frauen in der Arbeitswelt
Forderungen nach Gleichberechtigung, Frauenrechte und Selbstbestimmung waren zur Kaiserzeit in Deutschland,
und nicht nur dort, sicherlich noch ganz seltsame, gemein gefährliche Anliegen,
die gewiss nur aus einer Irrenanstalt kommen konnten oder von Anarchisten provoziert waren,
um die bewährte gesellschaftliche Ordnung ins Chaos zu stürzen.
Das heute im Zusammenhang mit den benannten Forderungen Erreichte, kam nicht einfach so daher,
sondern folgte aus dem zähen Willen und Verlangen nach Veränderung einiger weniger mutiger Frauen,
die Laufe der Zeit mehr und mehr Zulauf und Unterstützung bekamen.
Und wie in einem Märchen wurde am Ende alles gut?
Um Forderungen mehr Nachdruck zu verleihen, bedarf es auch politischer Beteiligung.
Erst in den Anfängen der Weimarer Republik bekamen Frauen am 30. November 1918
das Recht zu wählen und gewählt zu werden.
Wen wundert's? Verwunderlich ist jedoch, dass in der basis-demokratischen Schweiz erst im Jahr 1971
den Frauen vom Parlament der Männer, mit einer Zustimmung von immerhin 65 Prozent, das Wahlrecht zugestanden wurde.
Es war ja die Zeit der gesellschaftlichen Revolte und des Aufbegehrens der 70er Jahre.
Wie würde bei solcher Parlamentsbesetzung wohl heutzutage das Abstimmungsergebnis ausfallen?
Um beruflich entsprechend seinen Idealen und Vorstellungen die passenden Möglichkeiten und Wege nach Gusto nutzen zu können,
bedarf es häufig auch eines wichtigen Fundaments: Bildung.
In Preußen wurden erst im Jahr 1908 Mädchen zum Abitur und Studium zugelassen.
Ähnlich verhielt es sich in den anderen deutschen Reichsstaaten.
Und erst im Jahr 1919 wurde die Gleichstellung von Frauen und Männern in der Weimarer Verfassung verankert.
Insgesamt kann wohl der Behauptung, dass die Weimarer Republik eine sehr lebhafte, fortschrittliche Demokratie war
und sich einiges in der Weimarer Zeit vorteilhaft für die Situation der Frauen änderte,
nicht so einfach widersprochen werden?
• Beispiel: Lise Meitner:
Manche Zusammenhänge und Situationen lassen sich manchmal besser durch erlebte Episoden einzelner Personen nachempfinden.
Wir schildern hier deshalb einige Episoden aus der Welt der Lise Meitner (1878 Wien - 1968 England).
Lise Meitner zählt zu den bedeutendsten NaturwissenschaftlerInnen des 20. Jahrhunderts und war
maßgeblich an der ersten künstlichen Kernspaltung im Jahr 1938 am Kaiser-Wilhelm-Institut in Berlin-Dahlem beteiligt
(heute: Hahn-Meitner-Institut der Max-Planck-Gesellschaft).
Sie wurde nach dem zweiten Weltkrieg jahrzehntelang wiederholt für die Nobelpreise in Chemie und Physik nominiert,
ohne je einen Nobelpreis zu erhalten.
• Lises Schulzeit und Studium in Wien:
Als Kind besuchte Lise eine Wiener Bürgerschule. Zu der Zeit waren Mädchen an Gymnasien nicht zugelassen.
Nach ihrer Schulzeit erwarb sie das Lehrerinnen-Examen für Französisch.
Sie bereitete sich zudem im Selbststudium für die Matura vor.
Im Alter von 22 Jahren bestand Lise 1901 die Reifeprüfung am Akademischen Gymnasium Wien
und schrieb sich in der philosophischen Fakultät der Universität ein.
Jedoch ihr Interesse galt der Chemie, Mathematik und Physik und besuchte entsprechende Vorlesungen und Seminare.
So wurde Ludwig Boltzmann auf die äußerst interessierte Studentin aufmerksam.
Durch ihn beflügelt und protegiert, wendete Lise sich dem Thema Radioaktivität zu.
Im Jahr 1906 promovierte sie im Hauptfach Physik und arbeitete danach für ein Jahr am Institut für Theoretische Physik in Wien.
• Lises ersten Jahre in Berlin:
Im Jahr 1907 begann Lises Zeit in Berlin. Sie wollte an Vorlesungen von Max Planck teilnehmen.
Dabei lernte Lise den gleichaltrigen Chemiker Otto Hahn kennen, mit dem sie 30 Jahre lang zusammenarbeiten wird.
Lise arbeitet jahrelang unbezahlt in Planks Arbeitsraum.
Die Räume der Universität durfte sie jedoch nur durch die Hintertüren oder teilweise gar nicht betreten.
Erst 1909 änderte sich das. Der Grund war: In Preußen wurde das Studium für Frauen zugelassen.
So ergab sich, dass Lise Meitner und Otto Hahn mit mehr Freiheiten wissenschaftlich erfolgreich zusammen arbeiten konnten.
Durch diese Tätigkeit lernte sie Albert Einstein und Marie Curie kennen
und war von 1912 bis 1915 inoffizielle Assistentin von Max Planck.
Noch immer arbeitete Lise unentgeltlich und wurde trotz dieser absurden Tatsache
als erste Frau in die wissenschaftliche Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft aufgenommen.
Im ersten Weltkrieg unterbrach sie 1915 bis 1916 ihre wissenschaftliche Arbeit,
um als Röntgenschwester bei der österreichischen Armee zu helfen.
Anschließend kehrte Lise nach Berlin zurück, um die Forschungsarbeit mit Otto Hahn fortzusetzen.
• Zeit bis 1938 in Berlin:
Im Jahr 1918 wurde Lise Meitner Abteilungsleiterin einer radiophysikalischen Abteilung und
erhielt damit erstmalig eine bezahlte Stelle für ihre wissenschaftliche Arbeit am Kaiser-Wilhelm-Institut.
Vier Jahre später habilitierte sie und wurde 1926 als erste Frau Professorin für experimentelle Kernphysik an der Berliner Universität.
1938 floh Lise Meitner wegen ihrer jüdischen Wurzeln vor der nationalsozialistischen Verfolgung nach Stockholm,
wo sie ihre wissenschaftliche Arbeit fortsetzte.
• Die Zeit nach 1938:
Auch in Stockholm stand sie weiterhin in Kontakt mit Otto Hahn.
Zusammen mit ihrem Neffen, dem Kernphysiker Otto Frisch, konnte sie mit seiner Hilfe und den von Otto Hahn
durchgereichten Informationen eine erste physikalisch-theoretische Erklärung für eine Atomspaltung geben und veröffentlichen.
Vielen Wissenschaftlern in der Welt und den von ihnen alarmierten Politikern wurde schlagartig klar, was das bedeutete.
Der Weltlauf um den Bau einer Atombombe begann.
Lise lehnte es ab, sich in den USA am Bau einer Atombombe zu beteiligen und blieb bis 1946 in Stockholm.
Durch die Erfahrungen im Ersten Weltkrieg war sie überzeugte Pazifistin geworden.
Nach dem Krieg erhielt Lise Meitner viele Ehrungen.
1959 wurde in Berlin-Dahlem, in Anwesenheit von Lise Meitner und Otto Hahn, vom damaligen Regierenden Bürgermeister Willy Brandt
das Hahn-Meitner-Institut für Kernforschung eingeweiht.
Die letzten Lebensjahre verbrachte Lise Meitner bei ihrem Neffen Otto Frisch in Cambridge.
Bis zu ihrem Lebensende setzte sie sich für eine friedliche Nutzung der Kernspaltung ein.
Lise Meitner verstarb 1968 im Alter von 89 Jahren in Cambridge.
• Was zeigt dieses Beispiel?:
Die gemeinsame Arbeit von Lise Meitner, Otto Hahn und Fritz Straßmann kam es zur ersten künstlichen Atomspaltung
und wurde wesentlich von Lise Meitner wissenschaftlich erklärt.
Wesentlich für das Thema Frauen und Arbeit sind hierbei sind die Bedingungen,
unter denen Lise Meitner diese Leistung erbrachte.
Die Arbeits- und Bildungsbedingungen sowie die Rechtssituationen von damals
sind vielen jüngeren Menschen heute gewiss fast völlig unbekannt und vermutlich beinahe unvorstellbar.
Dabei ist alles noch gar nicht so lange her.
Vieles, was wir für selbstverständlich halten, ist selbstverständlich nicht selbstverständlich.
Es ist nur eine gefühlte Selbstverständlichkeit, kein Naturgesetz.
Es reicht ein Blick auf Meldungen aus einigen anderen Ländern.
Es ist viel erreicht worden - jedoch garantiert kein Naturgesetz, dass es auch so bleiben wird.
• Und noch eine Sache zeigt dieses Beispiel:
Die Freude, Inspiration und der Wille, Dinge zu schaffen, kommen von innen.
Wird je ein üblicher Frontal-Unterricht diese Freude, Inspiration und diesen Willen bei Kindern wirklich entfachen können?
Vieles von dem, was nun, kurz angerissen, noch folgt, liegt in der Lebenszeit von Lise Meitner.
Zum Teil sind es, aus heutiger Sicht, herrlich absurde, kaum noch wirklich vorstellbare Details,
die das gesellschaftliche Leben und Miteinander regelten und konditionierten.
Wie oben bereits erwähnt, wurde in Deutschland erst im Jahre 1919 die Gleichstellung von Frauen und Männern
verfassungsrechtlich festgeschrieben.
Danach verbesserte sich nach und nach langsam die Arbeitsrechtssituation der Frauen.
In vielen Dingen wurde viel erreicht. Ein Blick zurück, auf das, was einmal war, zeigt das gewiss deutlich.